NRW sorgt mit einem überraschenden Landtagsantrag für Gesprächsstoff: CDU und Grüne wollen die Mehrsprachigkeit in allen Jahrgangsstufen verankern – und eröffnen damit die Debatte, ob Klassenarbeiten bald auch in Arabisch, Polnisch oder Türkisch geschrieben werden dürfen.
Schulterschluss in Düsseldorf

Die Koalition aus CDU und Grünen präsentierte im Landtag einen gemeinsamen Antrag, der die „Verankerung von Mehrsprachigkeit über die gesamte Schullaufbahn“ fordert. Ziel sei es, die Lebensrealitäten der knapp zwei Millionen Schüler*innen in NRW besser abzubilden und ihre Herkunftssprachen nicht länger als Hindernis, sondern als Ressource zu betrachten.
Wortwörtlich heißt es, fachliche Leistungen müssten künftig „angemessen erfasst werden können, auch wenn die Deutschkenntnisse noch nicht ausreichen“. Damit rückt eine jahrzehntelang undenkbare Idee näher: Prüfungen könnten in ausgewählten Fächern erstmals in einer anderen Muttersprache abgelegt werden.
Lass uns nun eintauchen, warum gerade jetzt das politische Momentum dafür entsteht.
Ein Land spricht mehr als Deutsch

Nordrhein-Westfalen ist längst mehrsprachig: Rund 44 Prozent der Schülerinnen haben laut Mikrozensus 2022 eine internationale Biografie, jeder Zweite nutzt zu Hause eine weitere Sprache. CDU und Grüne verweisen darauf, dass diese Vielfalt bislang im Curriculum nur am Rand vorkommt.
Das neue Konzept soll daher von der Grundschule bis zum Abitur greifen. Vorgesehen sind etwa mehrsprachige Projektkurse in der Oberstufe, bilinguale Module in Naturwissenschaften und ein Ausbau des Herkunftssprachlichen Unterrichts, der derzeit schon in über 30 Sprachen angeboten wird.
Doch wer applaudiert wirklich – und wer schlägt schon die Hände über dem Kopf zusammen? Wir schauen auf die lauteste Gegenstimme.
FDP wittert „Bildungskapitulation“

FDP-Fraktionschef Henning Höne reagierte mit scharfen Worten: Wer Klassenarbeiten nicht mehr zwingend auf Deutsch schreibe, kapitulierte „integrations- und bildungspolitisch“. Seine Sorge: Kinder könnten am Ende zwei Sprachen halb, aber keine richtig beherrschen.
Die Liberalen fordern deshalb verbindliche Deutsch-Tests statt mehrsprachiger Klausuren. Ihnen reicht der aktuell geplante Ausbau der Lernstandserhebungen in Deutsch und Mathematik – von zwei auf fünf Teststufen – vollkommen aus.
Doch nicht alle Pädagog*innen teilen diese Skepsis. Im Gegenteil: Einige sehen im Vorstoß eine historische Chance, die wir im nächsten Abschnitt beleuchten.
Lehrkräfte und Integrationsrat jubeln

Bildungsforscher*innen verweisen auf Studien, wonach das Anerkennen der Erstsprache zu besseren Lernleistungen in Deutsch führt. Viele Lehrkräfte berichten zudem, Fachinhalte könnten differenzierter geprüft werden, wenn Sprachbarrieren reduziert würden.
Der Landesintegrationsrat NRW spricht gar von einer „überfälligen Kehrtwende“. Vorsitzender Tayfun Keltek erinnert daran, dass das Land seit Jahren bundesweit Spitzenreiter beim Herkunftssprachlichen Unterricht sei – nun müsse der nächste Schritt folgen.
Doch bevor das Konzept Realität wird, wartet ein bürokratischer Drahtseilakt, der die Spannung weiter steigen lässt.
Anhörung, Pilotschulen und jede Menge offene Fragen

Der Schulausschuss des Landtags hat eine Sachverständigenanhörung für Oktober angesetzt. Dort soll geklärt werden, in welchen Fächern, Klassenstufen und Sprachen Pilotklausuren zulässig wären. Auch Datenschutz, Korrekturaufwand und Vergleichbarkeit der Noten stehen auf der Agenda.
Erst danach entscheidet das Parlament, ob ab dem Schuljahr 2026/27 Freiwillig-Pilotprojekte starten – mit einer möglichen landesweiten Ausweitung ab 2028/29. Bis dahin bleibt Zeit für hitzige Debatten in Lehrerzimmern und Elternchats.
Welche Fächer könnten als erste den großen Sprachen-Switch wagen? Die Antwort darauf liefert die nächste und letzte Folie.
Showdown: Wo fällt die erste Klausur nicht auf Deutsch?

Hinter den Kulissen gelten Sozialwissenschaften, Geschichte und Informatik als Favoriten für mehrsprachige Prüfungen: wenig Fachterminologie, viel Argumentation – ideal für den Einstieg. Mathematik und Naturwissenschaften könnten folgen, sobald geeignete Terminologie-Listen vorliegen.
Sollte der Landtag grünes Licht geben, würde NRW bundesweit Neuland betreten und ein Signal an alle Bundesländer senden: Mehrsprachigkeit ist nicht Defizit, sondern Kompetenz. Ob dieser Paradigmenwechsel gelingt, entscheidet sich im Frühjahr 2026 – beim finalen Votum im Plenum. Bis dahin bleibt die Frage offen, ob sich die Opposition umstimmen lässt oder ob NRW den Sprachen-Turbo im Alleingang zündet.
Damit endet unser Blick hinter die Kulissen – doch das letzte Wort in dieser bildungspolitischen Thriller-Serie ist noch lange nicht gesprochen.