Ein Aushang im Schaufenster, ein Post in den sozialen Netzwerken – mehr brauchte es nicht, um Esslingen bundesweit zum Gesprächsthema zu machen. Ein italienisches Restaurant erklärt dort kurzerhand: „Wir splitten keine Rechnungen.“ Zwischen Empörung, Verständnis und rechtlichen Fragen spitzt sich die Debatte täglich zu – und sie hat längst einen Protagonisten, der zu seiner Entscheidung steht.
Ein Zettel sorgt für Furore

Salvatore Marrazzo, Betreiber des „Accanto Semplicissimo“, hängt Mitte August einen DIN-A4-Zettel an die Tür: Wer nicht vorab danach fragt, bekommt nur noch eine Gesamtrechnung pro Tisch. Innerhalb von Stunden verbreitet sich ein Foto davon auf Instagram, TikTok und X, traditionelle Medien greifen die Story auf.
Je lauter die Empörung in den Timelines, desto voller das Restaurant. Marrazzo spricht von „hunderten Reservierungsanfragen“, seit der Zettel hängt. Der Effekt: Ausgerechnet das vermeintliche „Service-No-Go“ wird zum Marketing-Hit. Doch wer steckt hinter dieser provokanten Idee?
Weiter geht’s mit der Frage, warum der Wirt überhaupt auf den Gedanken kam.
Der Mann hinter dem Verbot

Marrazzo, 56, stammt aus Kalabrien, lebt aber seit 30 Jahren in Baden-Württemberg. In Interviews erzählt er, wie minutenlanges Aufdröseln von Cent-Beträgen den Service blockiere: „Wenn zwei volle Terrassen auf Rechnung warten, verlieren wir locker eine Stunde Umsatz.“
Sein Credo: Effizienz vor Diskussion. Wer getrennt zahlen will, müsse es vor der ersten Bestellung sagen, dann ordnet das Kassensystem jede Pasta und jeden Aperitivo direkt zu. Andernfalls bleibe es bei einer Summe – basta.
Doch wie nehmen Stammgäste und Touristen diese neue Strenge auf?
Applaus und Shitstorm zugleich

Am Samstagabend klatscht eine Freundesrunde dem Chef sogar Beifall: „Endlich mal Klartext“, ruft ein Gast, bevor er seine gemeinsame Rechnung begleicht. Online sieht das anders aus: Unter einem Reel sammeln sich Kommentare von „weltfremd“ bis „genialer Move“.
Interessant: Die Bewertungen auf Google steigen trotz der Kritik – viele Neugierige wollen sich selbst ein Bild machen. Der Spagat zwischen digitalem Verriss und vollem Gastraum zeigt, wie polarisiert das Thema Bezahlen inzwischen ist.
Doch was sagt eigentlich die Rechtslage: Darf ein Wirt getrennte Rechnungen überhaupt verweigern?
Wenn Gastrecht auf Verbraucherrecht trifft

Juristen der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg betonen: Rein rechtlich hat jeder Gast einen eigenen Kaufvertrag über sein Menü, also Anspruch auf Einzelabrechnung. Ein kategorisches Verbot sei daher nicht haltbar; es brauche wenigstens die Möglichkeit, vorab Bescheid zu geben – genau das lässt Marrazzo zwar zu, aber vielen erscheint der Zusatz versteckt.
Im Streitfall müsste wohl ein Gericht klären, ob der Aushang ausreichend informiert oder ob er unzulässig Druck ausübt. Die Diskussion bekommt damit eine zweite Ebene: Sie ist nicht nur Service-, sondern auch eine Rechtsfrage.
Und plötzlich richtet sich der Blick über Esslingen hinaus – hat die Branche einen neuen Trend entdeckt?
Trend oder Einzelfall?

Mehrere Gastronomen aus Stuttgart, Karlsruhe und Ulm melden laut Branchenverband „interesse an ähnlichen Lösungen“. Der Grund: Personalmangel trifft auf steigende Lohnkosten, jede gesparte Minute zählt. Manche planen „Schnell-Split-Apps“, andere liebäugeln mit komplettem Kartenzwang pro Tisch.
Analysten sehen darin eine Digital-gegen-Tradition-Front: Während urbane Bars aufs Handy-Bestellsystem setzen, nehmen klassische Restaurants gemeinsame Rechnungen als Mittel zur Beschleunigung. Der Esslinger Fall gilt vielen als Testballon.
Bleibt nur noch die Frage, ob der Wirt nach dem Sturm überhaupt nachgibt – oder noch einen draufsetzt.
Das überraschende Finale

Am Morgen des 27. August lässt Marrazzo eine neue Nachricht auf Instagram posten: „Regel bleibt – aber wir drucken ab sofort QR-Codes, damit Gruppen vor der Bestellung selbst splitten können.“ Damit holt er Kritiker ins Boot, ohne den Grundsatz aufzugeben.
Das Verbot wird zur Innovation: Ein Code am Tisch, scanbar vor der ersten Bestellung, schafft digitale Einzelrechnungen in Sekunden. Die Empörung verliert ihr Fundament – und Esslingen hat plötzlich ein Restaurant, das aus dem Shitstorm ein Service-Upgrade zimmert.
Und wer weiß: Vielleicht liest bald die ganze Republik den gleichen QR-Code, bevor sie das erste Glas Wein bestellt.