
In einer Welt, in der Wohnraum immer knapper und teurer wird, gibt es mitten in Deutschland einen Ort, der aus der Zeit gefallen zu sein scheint – und damit weltweit einzigartig ist. Hier werden Tradition, Gemeinschaftssinn und eine fast märchenhafte Mietregelung miteinander vereint. Doch was auf den ersten Blick wie ein soziales Paradies wirkt, hat auch seine ganz eigenen Regeln und Pflichten, die nicht jedem liegen dürften.
Die Geschichte hinter diesem Ort reicht über 500 Jahre zurück und hat dennoch bis heute Bestand. Wer hier leben darf, gehört zu einem sehr besonderen Kreis – mit klar definierten Werten und einem ungewöhnlichen Lebensstil. Ein Besuch oder Blick hinter die Kulissen zeigt: Soziales Wohnen ist möglich, wenn Vision und Struktur Hand in Hand gehen.
1. Ein Wohnort wie kein anderer

In einer ruhigen Ecke von Augsburg existiert ein Wohnprojekt, das sich deutlich von allen bekannten Konzepten abhebt. Der Ort wirkt wie eine Zeitkapsel: gepflegte Häuser, Kopfsteinpflaster und kleine Gärten vermitteln ein fast klösterliches Flair. Doch nicht nur das Äußere, sondern auch die dahinterstehende Idee ist etwas Besonderes – und zieht Besucher aus aller Welt an.
Was diesen Platz jedoch wirklich auszeichnet, ist seine besondere Beständigkeit. Hier herrschen Regeln, die sich über Jahrhunderte hinweg kaum verändert haben. Trotz seines idyllischen Erscheinungsbildes ist dieser Ort kein Touristenmuseum, sondern ein echtes Zuhause – allerdings nur für eine klar definierte Gruppe von Menschen, die bestimmten Voraussetzungen entsprechen.
2. Die älteste Sozialsiedlung der Welt

Die sogenannte Fuggerei wurde im Jahr 1521 von Jakob Fugger gegründet – einem der reichsten Kaufleute seiner Zeit. Ihr Zweck: Bedürftigen eine sichere und würdevolle Bleibe zu ermöglichen. Und das zu Bedingungen, die heute kaum zu glauben sind: Die Jahresmiete beträgt symbolische 0,88 Euro – ein Betrag, der sich seit der Gründung nicht verändert hat.
Mehr als 100 Menschen leben heute dort, meist katholische Bürgerinnen und Bürger mit geringem Einkommen. Sie finden in der Fuggerei nicht nur günstigen Wohnraum, sondern auch Rückhalt und Gemeinschaft. Der Unterhalt erfolgt über ein Stiftungsvermögen, das bis heute besteht. Dieses einzigartige Modell macht die Fuggerei zur ältesten funktionierenden Sozialsiedlung der Welt.
3. Leben mit Regeln und Verpflichtungen

Wer in der Fuggerei wohnen möchte, muss bereit sein, sich auf ein ungewöhnliches Lebenskonzept einzulassen. Neben der Bedürftigkeit ist auch die religiöse Zugehörigkeit entscheidend: Nur katholische Bewerber werden aufgenommen. Zudem verpflichtet sich jede Bewohnerin und jeder Bewohner zu drei täglichen Gebeten für die Stifterfamilie Fugger – eine Praxis, die bis heute strikt eingehalten wird.
Auch eine nächtliche Ausgangssperre gehört zu den Regeln: Nach 22 Uhr bleiben die Tore der Anlage geschlossen. All das mag ungewohnt wirken, doch es ist Ausdruck einer jahrhundertealten Tradition. Für die Bewohner sind diese Regeln kein Zwang, sondern ein Teil des gemeinschaftlichen Lebens. Sie sichern den Fortbestand eines sozialen Gedankens, der weit über Deutschland hinausstrahlt.
4. Eine Stiftung sichert die Zukunft

Das Besondere an der Fuggerei ist nicht nur die geringe Miete, sondern vor allem ihr nachhaltiges Finanzierungskonzept. Die gesamte Anlage wird durch ein Stiftungsvermögen getragen, das seit über 500 Jahren gepflegt und klug verwaltet wird. Es zeigt, dass sozialer Wohnraum auch langfristig gesichert werden kann – vorausgesetzt, Kapital, Vision und Verantwortung gehen Hand in Hand.
Diese Idee ist in Zeiten wachsender Wohnungsnot aktueller denn je. Die Fuggerei beweist, dass mit klarem Konzept und gelebter Solidarität ein Modell entstehen kann, das Menschen dauerhaft unterstützt. Sie ist damit mehr als ein Relikt vergangener Zeiten – sie ist ein lebendiges Beispiel für soziale Innovation mit historischem Fundament.