Ein Volksfest im Ausnahmezustand: Statt erwarteter Rekordgewinne endet die 190. Wiesn mit roten Zahlen – und einer Frage, die ganz München bewegt.
Das Rätsel ums Minus

Noch während der ersten Festtage kursierten optimistische Prognosen, die von einem neuen Umsatzrekord sprachen. Besucher*innen strömten in Massen auf die Theresienwiese, die Bierzelte waren früh ausgebucht, Hotelpreise explodierten. Trotzdem flüsterten Brancheninsider schon nach der Halbzeit von „Finanzlücken“, die sich hinter der glitzernden Fassade auftaten.
Selbst erfahrene Wiesn-Wirte wirkten ungewohnt nervös, mieden Fragen nach dem Kassenstand und verwiesen auf die „Schlussabrechnung“. Warum also braute sich trotz voller Zelte ein dickes Defizit zusammen?
Lassen Sie uns einen Blick auf den Tag werfen, der alles veränderte – und der zuerst gar nicht im Programm stand.
Nächster Blickwinkel: eine Bombendrohung, die den Festbetrieb lahmlegte.
Die Stunde der Stille

Am Mittwoch, 1. Oktober, schrillten die Sirenen: Eine anonyme Bombendrohung zwang Polizei und Sicherheitskräfte, das Gelände um 10 Uhr komplett zu räumen. Was folgte, waren bange Stunden, in denen Spürhunde jede Ecke absuchten, während Schaustellerinnen ihre Karussells abschalteten und Kellnerinnen ratlos vor verschlossenen Zelten standen.
Sieben lange Stunden blieben Zapfhähne trocken, Fahrgeschäfte still. Wer ausgerechnet an diesem Tag reserviert hatte, verlor nicht nur seine Tischgebühr, sondern oft auch Urlaubstage und Anreise-Kosten. Für die Stadt bedeutete die Sperrung vor allem eines: einen finanziellen Blackout.
Doch wie beziffern sich Verluste, wenn ein halber Tag Volksfest einfach ausfällt?
Was ein halber Wiesn-Tag kostet

Finanzexperten beziffern den Durchschnittsumsatz der Wiesn 2025 auf rund 39,6 Millionen Euro pro Tag. Rechnet man die tatsächlichen Öffnungsstunden herunter, entgangen der Stadt und den Betrieben am Bombendrohungs-Mittwoch etwa 21,2 Millionen Euro. Und das war nur der direkte Umsatz vor Ort – ohne Hotel-, Taxi- und Souvenirverkäufe, die üblicherweise parallel boomen.
Wiesn-Wirtinnen sprechen von bis zu 50 Prozent Umsatzverlust allein in ihren Zelten. Nicht alle haben eine passende Versicherung; kleinere Beschickerinnen fürchten, in den kommenden Monaten ohne Rücklagen dazustehen.
Finanzlücke hin oder her – auch die Besucherzahlen blieben hinter den Erwartungen zurück.
Wenn 200 000 Gäste fehlen

Offiziell zählte die Festleitung 6,5 Millionen Besucher*innen, rund 200 000 weniger als 2024. Verantwortlich waren neben der Bombendrohung auch wetterbedingte Sperrungen wegen Überfüllung und ein verregneter zweiter Sonntag. Jeder nicht geworbene Gast schlägt laut Wirtschaftsreferat mit durchschnittlich 90 Euro weniger Umsatz auf dem Festgelände zu Buche.
Damit summiert sich das Gästedefizit auf zusätzliche 18 Millionen Euro Minus – eine Größenordnung, die vor allem Schausteller*innen und kleinere Gastronomen spüren. Ihre Gewinne schmolzen, während Fixkosten für Personal, Energie und Sicherheitsauflagen stiegen.
Kann eine simple Lösung die Lücke stopfen? Manche hoffen auf ein Novum in der Wiesn-Geschichte.
Der Ruf nach Verlängerung

Kaum war klar, wie hoch die Einbußen sind, forderte der Gastgewerbeverband Dehoga lautstark eine Verlängerung um einen Tag. „Ein Zeichen der Lebensfreude“ solle es sein, argumentierte man – und eine Chance, verlorene Umsätze aufzuholen.
Doch Logistik und Personal sprechen dagegen: Genehmigungen fehlen, viele Saisonkräfte haben Anschlussverträge, Schausteller müssen weiterziehen. Wiesn-Chef Christian Scharpf gestand zwar „Fehler im Besuchermanagement“, bezeichnete eine Verlängerung aber als „kaum machbar“.
Und so blieb nur noch die große Frage: Wie tief ist das Loch in der Bilanz wirklich?
Endabrechnung in Rot

Am Abschlusstag verkündete das städtische Referat für Arbeit und Wirtschaft die Zahl, die alle fürchteten: Rund 40 Millionen Euro Nettodefizit gegenüber dem ursprünglichen Wirtschaftsplan. Fast die Hälfte davon entfällt direkt auf die Bombendrohung, der Rest auf Besucherrückgang und gestiegene Kosten.
Damit schreibt die Wiesn 2025 als erste Ausgabe seit Jahrzehnten rote Zahlen – trotz 1,57 Milliarden Euro Gesamtumsatz. Wie die Lücke gestopft werden soll, bleibt offen; Diskussionen über höhere Standgebühren, neue Sponsoren oder gar ein staatliches Hilfspaket laufen bereits. Eines ist sicher: Der Mythos vom garantierten Wiesn-Goldrausch ist fürs Erste geplatzt.
Bleibt abzuwarten, ob das nächste Oktoberfest die Kurve zurück ins Plus schafft – oder ob München seine liebste Tradition neu erfinden muss.