Ein stilles Sommermorgen-Kabinettstreffen hat Deutschlands Wehrpolitik über Nacht verändert – und plötzlich stehen Millionen junger Menschen vor einer völlig neuen Lebensplanung.
Am 27. August 2025 segnete die Regierung das Gesetz für einen „Neuen Wehrdienst“ ab; noch fehlt nur der Segen von Bundestag und Bundesrat.
Kabinettsbeschluss am frühen Morgen

Kurz nach sechs Uhr stimmte das Bundeskabinett dem Entwurf von Verteidigungsminister Boris Pistorius zu. Er sieht vor, dass ab 2026 alle Männer des Jahrgangs 2008 – rund 750 000 Personen – einen verpflichtenden Online-Fragebogen zu Tauglichkeit und Motivation ausfüllen müssen; Frauen können freiwillig teilnehmen.
Damit schafft Berlin erstmals seit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 wieder eine amtliche Datenbasis für mögliche Einberufungen. Und: Wer den Fragebogen ignoriert, riskiert ein Bußgeld. Doch welche neuen Regeln gelten jetzt wirklich?
Was sich konkret ändert

Der künftige Dienst dauert zwischen sechs und 23 Monaten; bezahlt wird er mit mindestens 1 800 Euro netto – plus Zuschläge für Spezialausbildungen. Statt der bisherigen 15 000 Plätze für Freiwillige sollen jährlich 40 000 bis 50 000 Rekruten ausgebildet werden, wobei Kasernen digitalisiert und Unterkünfte reaktiviert werden.
Außerdem plant das Ministerium attraktive Bildungsgutscheine für nachträgliche Ausbildungs- oder Studiengänge. Ein Anreiz, der manchen Entscheidungsdruck abmildern könnte. Doch wie viele junge Menschen könnte das tatsächlich betreffen?
Millionen auf Abruf – die betroffene Generation

Deutschland zählt pro Jahrgang etwa dreiviertel Millionen 18-Jährige. Addiert man die fünf Jahrgänge, die das Verteidigungsressort bis 2030 erfassen will, geht es um bis zu 3,7 Millionen Datensätze – ein Personalpool, der die Bundeswehr von heute 180 000 auf langfristig 260 000 Soldaten wachsen lassen soll.
Selbst wenn nur jeder Fünfte am Ende Uniform trägt, wären das 150 000 zusätzliche Soldatinnen und Soldaten. Für Schulen, Ausbildungsbetriebe und Universitäten bedeutet das spürbare Planungsunsicherheit. Doch nicht alle Parteien jubeln über das Mammutprojekt.
Heftiger Streit im Parlament

Unionspolitiker Norbert Röttgen moniert „fehlende Fristen und Zielzahlen“ und verlangt automatische Pflichteinziehungen, falls die freiwilligen Meldequoten zu niedrig bleiben. CSU-Verteidigungsexperte Thomas Erndl hält die geplanten 80 000 zusätzlichen Dienstposten für „zu vage“.
Die Ampel kontert, man wolle keine „Zwangsarmee“, setze aber auf Nachsteuerungsklauseln. Hinter den Kulissen werden bereits Kompromissformeln gesucht, um das Gesetz noch vor der Winterpause durch den Bundestag zu bringen. Doch was, wenn die Freiwilligkeit nicht trägt?
Pflicht oder Kür – das Szenario nach der Abstimmung

Sollten die anvisierten 40 000 Freiwilligen pro Jahr deutlich verfehlt werden, könnte der Bundestag per Mehrheitsbeschluss binnen sechs Monaten eine Teilpflicht einführen – zunächst für Männer, später womöglich geschlechterneutral. Scharf gestellt würde sie frühestens zum Juli 2027.
Bis dahin bleibt unklar, ob das neue Modell zum Erfolgsexempel oder zum Einstieg in eine echte Wehrpflicht wird. Entscheidend ist, wie viele Jugendliche am Ende „Ja“ ankreuzen – und ob die Politik ihr Versprechen hält, den Dienst attraktiver zu machen. Die kommenden Monate werden zeigen, ob Freiwilligkeit wirklich genügt.