
Nicht immer sind es große Katastrophen, die gesellschaftliche Debatten auslösen – manchmal reichen Kleinigkeiten, scheinbare Nebensächlichkeiten im Alltag. Was für viele wie ein Formularfeld wirkt, kann für andere eine massive Hürde sein.
Zwischen Digitalisierung, persönlicher Identität und rechtlicher Grauzone entzündet sich nun eine Debatte, die weit über ein einzelnes Ereignis hinausweist.
1. Wenn alltägliche Vorgänge plötzlich kompliziert werden

Was für viele ein banaler Schritt ist – einen Flug online buchen – kann für andere zur Herausforderung werden. Dabei geht es nicht um technische Probleme, sondern um das Gefühl, nicht mitgedacht zu werden.
Für Menschen, deren Identität außerhalb klassischer Kategorien liegt, bietet der digitale Alltag nicht immer Platz. Und manchmal reicht ein fehlendes Feld, um sich ausgeschlossen oder missachtet zu fühlen.
2. Die persönliche Grenze ist schnell überschritten

Solche Situationen häufen sich: In Formularen, Buchungssystemen oder Anmeldemasken ist meist eine Auswahl zwingend. Wenn dort nur zwei bis drei Optionen erscheinen, geraten Menschen, die nicht-binär oder trans sind*, schnell in eine Zwickmühle.
Wählt man eine falsche Anrede oder verzichtet man auf die Buchung? Was für andere selbstverständlich ist, kann emotional belastend sein – besonders wenn es um die eigene Identität geht.
3. Klage gegen Ryanair wegen fehlender Anredeoption

René Hornstein, eine nonbinäre Person, verklagt die Fluggesellschaft Ryanair auf 5000 Euro Schmerzensgeld. Der Vorwurf: Diskriminierung – weil bei der Buchung eines Flugs von Berlin nach Gran Canaria keine geschlechtsneutrale Anrede auswählbar war.
Hornstein sah sich gezwungen, zwischen „Herr“, „Frau“ oder „Fräulein“ zu wählen – oder gar nicht zu buchen. Die Zwangsanrede habe zu tiefer seelischer Belastung geführt, so die Klage vor dem Zivilgericht Berlin.
4. Das Unternehmen verteidigt sich – und zweifelt

Ryanair weist die Vorwürfe zurück. Laut Anwalt der Airline handle es sich bei der Anrede um einen technischen Buchungsvorgang, nicht um eine persönliche Wertung. Es werde kein Geschlecht gespeichert, sondern lediglich der Ablauf gesichert.
Zusätzlich habe Hornstein auch in den Folgejahren weiterhin bei Ryanair gebucht – ein Widerspruch, der aus Sicht der Verteidigung gegen die Schmerzensgeldforderung spreche. Dennoch zeigt sich das Unternehmen gesprächsbereit.
5. Rückblick auf ein früheres Urteil

Es ist nicht Hornsteins erste Klage dieser Art. Bereits 2022 erstritt die Person beim Oberlandesgericht Frankfurt ein Urteil gegen die Deutsche Bahn – mit Erfolg: Die Bahn musste genderneutrale Tickets anbieten und 1000 Euro Schmerzensgeld zahlen.
Auch hier war der Ausgangspunkt ein fehlendes Feld in der Buchung. Das damalige Urteil könnte nun Signalwirkung auf den aktuellen Fall haben – und für viele Betroffene Rückenwind bedeuten.
6. Gesellschaftlich umstritten, aber rechtlich relevant

Die Klage polarisiert. Während Befürworter*innen die Sichtbarkeit von Diskriminierung loben, werfen Kritiker dem Kläger Überempfindlichkeit oder gar Inszenierung vor. Doch juristisch ist klar: Das Persönlichkeitsrecht umfasst auch geschlechtliche Identität.
Wenn sich eine Person durch einen Buchungsvorgang entwertet fühlt, ist das rechtlich nicht belanglos. Der Fall stellt deshalb auch die Frage: Wie viel Rücksicht muss ein Unternehmen im digitalen Raum nehmen?
7. Das Urteil könnte ein Zeichen setzen

Der Fall gegen Ryanair ist mehr als ein Einzelfall. Er zeigt, dass digitale Strukturen noch nicht alle Menschen mitdenken. Auch wenn die Summe von 5000 Euro vergleichsweise gering wirkt, geht es um Grundsatzfragen.
Der Ausgang des Prozesses könnte daher neue Standards setzen – oder zeigen, wo das Recht aktuell seine Grenzen hat. Für Hornstein ist eines jedenfalls klar: Die eigene Identität ist nicht verhandelbar.