Ein rätselhaftes Grollen erschütterte vor gut einem Jahrzehnt die menschenleere Jamal-Halbinsel – gewaltige Krater rissen das sibirische Permafrostland auf. Seither jagt ein spektakulärer Fund den nächsten, doch erst jetzt lüften Forschende das Geheimnis der explosiven Löcher.
Ein plötzliches Donnern im Eis

An einem sonnigen Julitag 2014 ertönte über der Tundra ein dumpfer Knall – Augenzeugen berichteten von aufspritzender Erde, Eisbrocken und einem steilen Schacht von fast 50 Metern Tiefe. Die Szene wirkte wie ein Meteoriteneinschlag, doch nirgendwo fanden sich Spuren außer der perfekt zylindrischen Grube.
Binnen weniger Jahre tauchten weitere Krater in Jamal und auf der benachbarten Gydan-Halbinsel auf. Drohnenaufnahmen zeigten zerrissene Permafrostdecken und rundum verstreute Trümmerkegel. Was konnte solch brachiale Kräfte freisetzen? Weiter geht’s mit einer Spur aus dem All …
Spektakuläre Krater – Satelliten liefern neue Bilder

Moderne Radar-Satelliten kartieren inzwischen über drei Dutzend der Löcher. Die Krater sind bis zu 25 Stockwerke tief, die Ejektawälle weisen radial angeordnete Blöcke auf – ein klares Indiz für eine Explosion von innen nach außen.
Die Genauigkeit der Aufnahmen aus dem Jahr 2025 ließ die Rätsel jedoch nicht kleiner werden. Je präziser die Form vermessen wurde, desto offensichtlicher fehlte jede äußere Einschlagsquelle. Das nächste Puzzleteil versteckte sich tief unter dem Eis …
Das Rätsel der verborgenen Cryopegs

Ein russisch-spanisches Forschungsteam bohrte 2024 durch frostverhärtete Lehmschichten und stieß auf geheimnisvolle, salzhaltige Wasserlinsen – sogenannte Cryopegs. Sie lagern zwischen warmer Sommererde und eiskaltem Dauerfrost und ruhen direkt auf Methan-Eis, das unter hohem Druck kristallisiert.
Gelangen Tauwasser und Wärme bis zu diesen Cryopegs, steigt der Druck abrupt. Platzt die Deckschicht auf, fällt der Druck schlagartig ab – das Methan-Eis zerfällt explosionsartig zu Gas und schleudert Eis und Geröll wie eine Art unterirdischer Champagnerkorken in die Luft. Doch warum schlummert dort überhaupt so viel Gas?
Methan – der schlafende Riese unter dem Permafrost

Über Jahrtausende hat sich Methan aus verrottender Biomasse eingeschlossen – sicher versiegelt von mehrere Meter dickem Eis. Methan wirkt als Treibhausgas 28-mal stärker als CO₂, bleibt jedoch unsichtbar, solange das Frostschloss hält.
Die Arktis erwärmt sich mittlerweile dreimal schneller als der globale Durchschnitt. Längere Sommer, Regen auf Schnee und steigende Bodentemperaturen knabbern an der Frostkappe. Jedes Grad mehr erhöht die Gefahr weiterer Detonationen. Welche Folgen hat das für Mensch und Klima?
Gefahr für Mensch, Infrastruktur und Klima

Viele Krater liegen nur wenige Kilometer von Gas- und Ölpipelines entfernt. Eine unvorhergesehene Explosion könnte Leitungen zerreißen, Arbeitscamps beschädigen oder ganze Bohrinseln in Mitleidenschaft ziehen.
Gleichzeitig entweicht mit jeder Detonation eine Wolke Methan, die den Treibhauseffekt weiter antreibt – ein riskanter Verstärker, der die Arktis zusätzlich destabilisiert. Kann man diese tickenden Zeitbomben künftig entschärfen?
Ice-Lab 2025: So wollen Forscher künftige Explosionen vorhersagen

Ein internationales Konsortium installiert seit diesem Sommer Sensorbohrlöcher rund um bekannte Kraterzonen. Temperaturfühler, Bodenradar und Mikroseismik zeichnen jede Druckänderung auf; Drohnen liefern 3-D-Modelle in Echtzeit.
Mithilfe von KI-Algorithmen wollen die Teams Frühwarnstufen ausgeben, lange bevor sich die Erde hebt. Parallel liefern die Daten wichtige Parameter für Klimamodelle – ein doppelter Sicherheitsgewinn. Bleibt nur noch die große Frage: Was lernen wir daraus?
Das große Fazit: Ein Weckruf aus dem eisigen Norden
Die Wissenschaft hat das Geheimnis gelüftet: explosive Methan-Entgasungen aus auftauenden Cryopegs sprengen die Krater in das sibirische Permafrostland. Doch jede neue Erkenntnis zeigt, wie sehr die globale Erwärmung an den Grundfesten des Nordens rüttelt.
Ob wir weitere „Champagnerlöcher“ verhindern, hängt davon ab, wie schnell Emissionen sinken und wie gründlich wir den arktischen Untergrund überwachen. Die Krater von Jamal sind mehr als Naturwunder – sie sind Mahnmal und Frühwarnsystem zugleich.