Ein schlichtes Foto einer Kreidetafel sorgt erneut für Aufruhr – diesmal mitten im heißen Bundestagswahlkampf 2025. „Wenn Sie AfD wählen, trinken Sie Ihr Bier bitte woanders“, steht darauf. Die Botschaft der Mindener Bar „Soho“ ist seit Heiligabend 2022 bekannt, doch kurz vor dem Oktoberfest hat Inhaber Patrick Zander die Tafel noch einmal gepostet – und erreicht jetzt ein Millionenpublikum.
Alte Tafel, neuer Sturm

Der Facebook-Post vom frühen Montagmorgen sammelte innerhalb von zwölf Stunden mehr als 1,4 Millionen Aufrufe – deutlich mehr als 2022. Die Kommentarspalten brummen: Von „Hero des Alltags“ bis „undemokratischer Laden“ reicht das Spektrum. TikTok-Reaktionsvideos unter dem Hashtag #BierOhneBlau klettern in den Trends, Influencer rufen zu Solidaritäts-Besuchen auf.
Gleichzeitig formieren sich Boykottaufrufe in AfD-nahen Telegram-Kanälen; deren Betreiber drohen mit negativen Google-Rezensionen und Anzeigen wegen Diskriminierung. Dennoch bleibt die Stimmung im Mindener Stadtkern weitgehend entspannt – die Schlange vor dem „Soho“ zog sich am Abend fast bis zum Marktplatz.
Weiter geht’s mit dem Mann hinter der Tafel …
Der Wirt, der kein Blatt vor den Mund nimmt

Patrick Zander, 36, führt die Bar seit 2016. Im Interview erklärt er, dass Menschen aus 14 Nationen in seinem Team arbeiten: „Wer ihre Existenz infrage stellt, bekommt hier eben kein Bier.“ Angst habe er keine; Angriffe blieben bislang bei Social-Media-Pöbeleien. Seine Stammkundschaft halte ihm „felsenfest“ die Treue.
Neu ist jedoch Zanders Kooperation mit dem Berliner Craft-Brauer BRLO: Gemeinsam schenken sie zur Wahlparty am 28. September ein Sonderbier aus – jede verlorene AfD-Prozentstimme soll den Preis pro Glas um 20 % senken.
Doch darf ein Wirt überhaupt politisch unliebsame Gäste ausschließen? Die Rechtslage folgt im nächsten Slide …
Hausrecht trifft Antidiskriminierungsgesetz

Juristinnen verweisen auf das grundsätzliche Hausrecht von Gastronomen – sie dürfen Gäste abweisen, solange dies nicht willkürlich oder herabwürdigend geschieht. Politische Überzeugungen gelten aber als „sonstiges Merkmal“ im AGG, weshalb ein generelles AfD-Verbot rechtlich heikel bleibt. Entscheidend sei, ob das Schild reine Meinung oder tatsächliche Zugangsbeschränkung ist.
Bislang liegt keine Klage vor, doch die AfD-Kreisvorsitzende in Minden-Lübbecke kündigte „juristische Schritte bei erster Gelegenheit“ an. Die Stadtverwaltung prüft derweil lediglich, ob vor der Bar genügend Fluchtwege frei bleiben – mehr Befugnisse hat sie nicht.
Interessanter ist, wie sich der Aufruhr wirtschaftlich auswirkt …
Umsatz, Unterstützung – und unerwartete Helfer

Seit Veröffentlichung des Posts stieg der Getränkumsatz des „Soho“ laut Kassendaten um 53 % – trotz Boykottdrohungen. Regionale Brauerei Barre lobte 50 Gratis-Kisten für eine „Nacht der Demokratie“ aus, sollte die Bar juristisch belangt werden. Gleichzeitig fielen Hunderte 1-Stern-Bewertungen auf Google ein; viele wurden als „koordiniert“ gemeldet und bereits gelöscht.
Auch der lokale Einzelhandel profitiert: Touristen machen Selfies vor der Tafel, kaufen Beutel mit der Aufschrift „Kein Bier für Blau“ und posten sie unter #VisitMinden. Die Kammer für Industrie und Handel sieht darin ein Beispiel, wie politische Haltung zur Marke werden kann – Fluch und Segen zugleich.
Bleibt die Frage, wie Parteien und Promis reagieren …
Politische Wellen bis Berlin

SPD-Co-Chef Lars Klingbeil twitterte ein Foto der Tafel mit den Worten: „Haltung schenkt ein.“ Grünen-Spitzenkandidatin Katharina Schulze versprach am Freitag einen Besuch in Minden. Die CDU gab sich zurückhaltend: Man verstehe das Anliegen, halte aber „Einlass-Checks nach Parteipräferenz“ für schwierig.
Die AfD wiederum nutzt den Fall für ihre Opfer-Erzählung. Spitzenkandidatin Alice Weidel sprach von „DDR-Methoden in Kneipen“. Gleichzeitig mobilisiert der Fall progressive Künstler: Comiczeichner Ralf Ruthe kündigte eine limitierte Postkartenedition an, deren Erlös an anti-rechtsextreme Initiativen geht.
Was aber plant das „Soho“, um die Debatte konstruktiv zu nutzen? Das erfahren wir gleich …
„Freitags frei von Rechts“ – das neue Bündnis

Am späten Abend enthüllte Patrick Zander gemeinsam mit 23 weiteren Bars aus OWL die Aktion „Freitags frei von Rechts“. Jeden Freitag vor der Wahl wollen sie 5 % ihres Umsatzes an lokales Flüchtlingshilfswerk spenden – vorausgesetzt, Gäste bringen ihren Wahlbescheid mit und setzen kein Kreuz bei der AfD. Das Bündnis rief außerdem ein demokratieförderndes Kneipen-Quiz ins Leben, moderiert von Promis wie Bastian Pastewka.
Ob das den Wahltrend beeinflusst, bleibt abzuwarten. Sicher ist: Eine Kreidetafel aus Minden hat es geschafft, Bier, Politik und Popkultur in eine brisante Melange zu verwandeln – der letzte Schluck dieses Dramas ist noch lange nicht ausgetrunken.
Fortsetzung folgt – denn die Wahl ist erst in fünf Tagen, und die Tafel steht immer noch draußen.